Degrowth ist eine politische Bewegung und zugleich eine Forschungsrichtung, wie Wirtschaften bzw. Gesellschaften den Kreislauf der Produktion und Konsumption von Gütern organisieren können, ohne sich an Wachstum oder Profit zu orientieren, sondern an „gutem Leben“ für alle und einem schonendem Umgang mit der Natur bzw. der Erde. Dabei werden ökologische („Grenzen des Wachstums“, Anthropozän) mit sozialökonomischen Motiven (Kapitalismus- und Kolonialismuskritik, Süd-Nord-Kritik) zusammengeführt. Zugleich greift Degrowth Elemente des Feminismus (Abwertung sog. „unproduktiver“ bzw. „reproduktiver“ Tätigkeiten wie Erziehungs- und Sorgearbeit gegenüber „männlicher“ produktiver Arbeit) und philosophischer/kultureller Kritiken (z.B. an Imperativen der Naturbeherrschung und Selbststeigerung) auf. Dabei will Degrowth eine globale ökologische und soziale Gerechtigkeit erreichen, Demokratie und Selbstbestimmung für alle Menschen, als auch eine Berücksichtigung der „Bedürfnisse“ anderer als menschlicher Lebensformen und des Planeten Erde. Materieller Wohlstand soll zunehmend weniger wichtig sein als ein Wohlstand an Zeit und positivem Aufeinander-Bezogen-Sein mit Anderen/Anderem, d.h. antwortende und „konvivale“ statt „imperiale“ (Brand/Wissen 2017) Selbst- und Weltbeziehungen.
Zur Durchsetzung von Degrowth sind individuelle Strategien („freiwillige Einfachheit“, Commonsorientierung), politische Reformen und der Aufbau einer starken Gegenmacht gegen die den gegenwärtigen Kapitalismus stützenden Akteure und Institutionen erforderlich, welche die gegenwärtige imperiale Lebensweise und die damit verbundenen Aneignung von „Frauen, Natur und Kolonien“ (Bennholdt-Thomsen, Mies 1997) weiter stützen. Statt einer Orientierung an Dingen, Eigentum und Kapital geht es um Beziehungen, Austausch und andere Formen von Wirtschaften: Schenken, Teilen, Leihen, Sammeln, geteilten Genuss. Auf individueller und sozialer Ebene geht es um Suffizienz, welche als Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung („vier E’s“, Sachs 1993) beschrieben werden kann. Strategien der machtförmigen Einverleibung eines „Aussen“ (billige Arbeit, Land, Sorgetätigkeiten, Rohstoffe etc.) und die Externalisierung der Kosten des Wachstums sowie die extrativistische Ausbeutung der Natur und des globalen Südens müssen dabei baldmöglichst gestoppt werden.
Politische Ziele sind in diesem Zusammenhang eine Verkürzung der wöchentlichen und Lebens- Erwerbsarbeitszeit, ein bedingungsloses Grund- sowie ein Maximaleinkommen, eine radikale Besteuerung von Erbschaften und ein Schuldenschnitt ausser für Reiche. Zugleich müssen Teile der Versorgung mit Grundgütern (Verkehr, Infrastruktur, Medizin, Energie, Wohnraum, Nahrung, Wasser, Finanzsektor u.a.) vergesellschaftet bzw. einer viel stärkeren gesamtgesellschaftlichen Kontrolle unterstellt werden. Zudem geht es um Massnahmen zur Reduktion des Material- und Energieverbrauchs, um Moratorien für bestimmte Investitionen und Bauvorhaben, um die Umverteilung von Einkommen und Vermögen innerhalb und zwischen Ländern, um die Reduktion von Werbung, um eine Besteuerung von CO2 (unter Entlastung unterer Einkommensschichten), um die Förderung erneuerbarer Energien, von ökologischer und regionaler Landwirtschaft sowie von solidarischen und genossenschaftlichen Betrieben und andere Maßnahmen, die geeignet sind, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit alternativer Formen von Wirtschaften und Vergesellschaftung für zunehmend mehr Menschen erfahrbar zu machen.
Wirtschaften muss zunehmend vielfältig sein, ein „Pluriversum“ ökonomischer Aktivitäten, Akteure und Logiken (Kothari et al. 2018), welche zunehmend kooperativ statt konkurrierend und gemäß des Prinzips „Sinn vor Gewinn“ arbeiten (Embshoff et. al. 2017). Zur Erreichung von Degrowth müssen sich (nach Wright 2017) Freiraumstrategien (Now-topias, d.h. Aufbau von Alternativen in Nischen wie z.B. Commons), symbiotische Strategien (positive systematische Kooperation verschiedener sozialer Kräfte sowie gesellschaftliche Reformen) und Bruchstrategien (revolutionäre und konfrontative Strategien zum Aufbau politischer Gegenmacht) ergänzen. Ein wichtiges und ungeklärtes Problem ist zudem die Rückführung extrahierter Gewinne aus dem globalen Norden in den kolonialisierten globalen Süden, zumal dieser derzeit am Meisten unter den zunehmenden Folgen des Extraktivismus und der Umweltverschmutzung bzw. der ökologischen Krise zu leiden hat. Degrowth wird kommen, entweder „By design oder desaster“ (Victor 2008).
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