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Politik/das Politische und die Kritik

Die moderne Trennung zwischen einem Bereich der Wissenschaft (nackte Tatsachen, objektive Dinge) und einem (subjektiven) der Politik, der Meinungen und Gefühle, führt dazu, dass beträchtliche Teile der Welt dem demokratischen Einfluss- und Geltungsbereich entzogen und eigentlich genuin politische Fragen (im engeren Sinn von Politik) durch den Einspruch von Experten depolitisiert werden können. Aber jede wissenschaftliche Tatsache, jede technische Erfindung, jeder rechtliche Streit und jede ökonomische Transaktion lässt sich auch als politisches Phänomen analysieren/begreifen (bzw. darauf bezogene Prozesse auch der Entpolitisierung herausarbeiten). Damit wird ein weiterer Begriff von Politik (frz. le politique) von einem engeren abgrenzbar (frz. la politique). Im Sinne des ersteren gilt für alle gesellschaftlichen Phänomene das, was Latour pointiert über die Wissenschaft sagt: „Science is not politics. It is politics by other means“ (PAS 229). Damit wird ein ähnlich flacher Begriff des Politischen angezielt, wie ein flacher Begriff des Sozialen. Einhergehend damit relativiert sich für Latour auch die Möglichkeit einer Letztfundierung von Kritik. Eine solche Form von Kritik läuft im Kern auf Praktiken der Distanznahme hinaus. Statt über empirische Sachverhalte, reales Leiden und konkrete Gegenstände/Lösungsmöglichkeiten zu verhandeln, versuchen kritische Herangehensweisen – so Latour – auf feste Fundamente zu rekurrieren (klassisch: Vernunft/Rationalität oder Basis-Überbau-Modelle) und empirische Beobachtungen infragezustellen. Sie sind mehr mit einer abstrakten Suche nach Gewissheit verbunden, besessen von der Trennung von Wissen und Glauben und weisen pragmatistische Modelle von Erkennen und Handeln meist zurück, und damit auch die konkreten Lebenserfahrungen und Gefühle der Menschen. Im Gestus der „Entlarvung“ ähneln sich linke und rechte Kritiker, statt konkret nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen und über konkrete Sachverhalte im Sinne von matters of concern und matters of care ins Gespräch zu kommen. Latour intendiert deshalb ein flachere Form von Kritik: „Der Kritiker ist nicht derjenige der entlarvt, sondern derjenige der versammelt, …der Teilnehmern Arenen bietet, wo sie sich versammeln können… er ist derjenige, für den, was konstruiert wird, zerbrechlich ist und der Pflege und der Vorsicht bedarf. (EK 55)“. Gesellschaft, Politik, Concerns und Sorge für/um werden nicht durch ostentatives Referenzieren begründet oder hergestellt, sondern nur durch gemeinsame performative Akte der Komposition von Welt, durch „Kosmopolitik“ (PAN 357). Die Frage: „wie wollen wir leben“ und „was verbindet uns“ „…kann nicht prinzipiell beantwortet werden, sondern nur in der Praxis; jedes Mal, wenn jemand diese Frage stellt, wird eine neue Assoziation hergestellt, die uns tatsächlich verbindet“ (Latour 2006f, 205). Keinesfalls sollen damit Prozesse formaler Demokratie (Parlamente, Volksentscheide u.a.m.) ausgehebelt werden. Im Gegenteil geht es um einen zeitgemäßen demokratischen Kantianismus, der die Formalisierung politischer Meinungs-, Willens- und Entscheidungsbildung konkret macht: durch Listenbildungen, zeitliche und örtliche Eingrenzungen, Volksentscheide, Prozesse permanenter “Qualitätskontrolle” (Wert-, Prozess- und Ergebnis-sicherung). Dabei spielt die Spannung zwischen -> Lokal und Global bzw. die Suche nach Erdverbundenheit und dem -> Terrestrischen heute eine zentrale Rolle (-> Politik als Kreis).


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