Das wohl prominenteste und bedrohlichste Müllproblem der Gegenwart ist die globale Erwärmung, die durch die Entsorgung von Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre entsteht. Müll befindet sich mittlerweile an Land, in der Luft, im Wasser und selbst noch im Orbit der Erde. Das Müllproblem ist planetarisch geworden. Dabei ist dieses Planetarisch-Werden nicht nur eine geometrische oder quantitative Ausweitung, sondern markiert eine grundsätzlich neue Qualität: Müll kann nicht mehr wie bisher externalisiert werden. Externalisierung war die wesentliche Strategie moderner, insbesondere kapitalistischer Gesellschaften, mit Folgekosten aller Art fertig zu werden. Der Müll wurde aus dem Wohnhaus hinaus in den Abfalleimer transportiert, an den Stadtrand auf eine Deponie gebracht und in andere Länder und Weltregionen abgeschoben. Das Anthropozän und die Klimakatastrophe machen allerdings deutlich, dass es kein Aussen mehr gibt, in das Abfälle noch abgeschoben werden können. Und das „Verdrängte“ kehrt zurück – Mikroplastik gelangt in die Nahrungskette, CO2-Emissionen in der Atmosphäre rächen sich in Form von Klimaveränderungen, toxische Abfalle verseuchen Boden und Trinkwasser.
Verlässt man sich allzu sehr auf Fragen nach der sozialen Konstruktion und den symbolischen und praktischen Einbettungen von Müll, gerät dessen dichte Materialität und Komplexität aus dem Blick. “Dirt [is] matter out of place“ stimmt eben nicht immer: das Diktum von Mary Douglas unterschlägt, dass es chemische Reaktionen, Unfälle, Wege ohne Rückkehr gibt. Es gibt Grenzen der Umverteilung. Die Medizin kann ein Lied davon singen, und es sind vor allem Krankheiten (von Pflanzen, Tieren, Menschen, aber auch von Ökosystemen), die klarmachen, dass nicht jeder Müll recykelt und jedes produzierte Gift (wie Plutonium) wieder nützlich gemacht werden kann.
Wenn es kein Aussen mehr gibt, dann gibt es auch keine Rettung “von Aussen“ mehr und Krankheit, Veränderungen und unsere Endlichkeit und Sterblichkeit sind endlich „(end-)gültig“ geworden. Nochmal mehr „in Reichweite“ gerückt. Müll ist nicht mehr „matter out of place“, sondern eher „matter all over the place“. Die Sintfluten sind nicht mehr „nach uns“, sondern „neben uns“, ja „in uns“ selbst.
„Die Sorge um die Umwelt beginnt in dem Moment, in dem es gerade keine Umwelt mehr gibt, jenen Realitätsbereich nicht mehr gibt, wo man sich sorglos der Folgen des politischen, industriellen und ökonomischen Lebens entledigen konnte. Die historische Bedeutung der ökologischen Krisen liegt nicht in einer neuen Sorge um die Natur, sondern im Gegenteil in der Unmöglichkeit, sich länger eine Politik auf der einen und eine Natur auf der anderen Seite vorzustellen, von denen letztere als Standard, Kontrast, Reserve, Ressource und Deponie für erstere dient. Damit findet sich die politische Philosophie plötzlich mit der Verpflichtung konfrontiert, die Umwelt zu internalisieren“. (Latour 2001, S. 88.)
Wir können eben nicht mehr die „Rechnung ohne den Wirt“ – (die Erde)- mehr machen, wie schon Michel Serres im „Naturvertrag“ betont. Stoffwechselprozesse gehen stets mit Verlust, Entropie und irreversibler Transformation einher. Darin, und nicht im Kreisen und der ständigen Rückkehr an den Anfang, liegt ihre spezifische Materialität und Zeitlichkeit. Das heisst aber auch, dass die Entstehung von Müll und Abfall unvermeidbar ist. Die Betonung dieser Irreversibilität und Transformationskraft von Stoffwechselprozessen ist eine Voraussetzung für die Kritik der gegenwärtigen Ökonomien des Mülls. Denn erst das Eingeständnis, dass sich die planetarischen Müllprobleme der Gegenwart nicht im perfekten Kreislauf auflösen lassen, kann der Ausgangspunkt für ein anderes Verhältnis zur materiellen Welt werden, in der Müll nicht der toxische Preis des Reichtums der Wenigen ist, den Ökosysteme und die ärmsten Teile der Weltbevölkerung teuer bezahlen müssen.
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